Glänzende Geschichtsschreibung
Neue Stolpersteine für Familie Blaschke in Hennigsdorf verlegt
Eigentlich beschäftigt sich Ronald Colman mit wissenschaftlichen und umweltpolitischen Themen. Darüber hat der Australier, geboren 1947, auch Schriften veröffentlicht und ein Buch geschrieben. Es heißt „Was wirklich zählt - Plädoyer für eine nachhaltige und gerechte Wirtschaft“ – und ein bisschen scheint das auch der Titel seines Lebens zu sein. Ronald Colman ist Nachfahre einer jüdischen Familie, die Hennigsdorf verlassen musste, um zu überleben. Sie floh vor dem Nationalsozialismus.
Erst vor einem Jahr klärte sich der Verbleib der Familie um Ernst Blaschke, der für die AEG als Werkdirektor in Hennigsdorf tätig war. Colmans Mutter Liesel Blaschke besuchte wie ihre drei Jahre jüngere Schwester Ursel das Reform-Realgymnasium, das heutige KreativWerk R6. 1933 wurden die Mädchen aus der Schule abgemeldet. Die Fabrikantenvilla, in der sie lebten, stand etwa dort, wo sich heute das Innovationsforum der Stadt Hennigsdorf befindet. Davor – in der Neuendorfstraße 23 – liegen vier glänzende Stolpersteine. Nun wurden sie erneuert, denn aus den Fragezeichen zum Verbleib der Blaschkes wurde Australien.
Dorthin war die Familie über zahlreiche Zwischenstationen geflohen. Doch, wie Ronald Colman bei seinem Besuch in Hennigsdorf im Frühjahr 2024 erzählte, ihr Herz blieb in Hennigsdorf. Immer wieder redeten sie davon, konnte er berichten, sie spielten deutsche Kartenspiele und lebten ihr deutsches Leben am anderen Ende der Welt weiter. Sie sprachen weiter deutsch.
Dass sie alle unter der Vertreibung, der Angst und der Flucht gelitten hatten, konnte der Nachfahre ebenso berichten. Vor allem Ursel war sehr krank. Ronald Colman wurde 1947 in Sydney, Australien, geboren, seine Eltern Walter Ulrich Kochmann und Liesel Blaschke, beide aus Berlin, lernten sich in Australien erst kennen. Sie hatten weitere nennenswerte Vorfahren. Colmans Großvater Ernst Blaschke hatte das Eiserne Kreuz für seine Dienste im Ersten Weltkrieg erhalten und war im Herzen ein Patriot. Die Unsicherheit – 1975 starb er in Sydney – begleitete ihn weiter, ein Leben lang.
Sein Großonkel, Alexander Beer, war der Hauptarchitekt der jüdischen Gemeinde Berlin. Während der Pogromnacht wurde er von Schergen der SS gezwungen, gemeinsam mit seiner Familie zuzusehen, wie die Synagoge, die er gebaut hatte, niederbrannte. Er wurde 1944 in Theresienstadt ermordet. Letzte Zeitzeugin der Familienlinie war Colmans 95-jährige Tante Beate Beer (heute Beate Hammett), die in Sydney lebt. Das alles konnte der Journalist Matthias Bertsch herausfinden.
Der hatte recherchiert, weil er über Colmans Buch und den Secession Verlag etwas schreiben wollte. Dort ist Colmans Buch auf Deutsch erschienen, betreut im Lektorat von Steven Uhly, der das Buch ins Deutsche übersetzt hat. Als der Journalist um einige Daten bat, schrieb ihm der Australier zwei Seiten Fakten aus seinem Leben auf. Er forschte weiter und landete auf der Internetseite der Stadt Hennigsdorf mit einer Broschüre über die Stolpersteine. "Ich wusste, das kann kein Zufall sein", erinnert sich der Reporter.
Diese Erkenntnisse waren für das Hennigsdorfer Stadtarchiv und die Witwe des verstorbenen Hennigsdorfer Historikers Dr. Helmut Fritsch, Renate Fritsch, ganz neu. Denn der frühere Gymnasiallehrer Fritsch, der das Verlegen der Stolpersteine in Hennigsdorf angestoßen und die Leben der ermordeten und vertriebenen Hennigsdorferinnen und Hennigsdorfer während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland akribisch erforscht hatte, war nicht so weit gekommen. Die Spur der Familie Blaschke verlor sich in Spanien. Auch deshalb trugen die Stolpersteine die drei eingemeißelten Fragezeichen im golden glänzenden Messingbeschlag.
Dass nun neue Stolpersteine verlegt werden konnten, zeigt auch, dass Hennigsdorf nie aufhört zu forschen. Geschichte lebt und entwickelt sich fort. Deshalb haben mit einer kleinen Gedenkfeier am Antirassismustag, dem 21. März 2025, auch Bürgermeister Thomas Günther, für die Paten Ursel Degner und der Seniorenbeiratsvorsitzende Udo Hoffmann sowie die Gemeinwesenbeauftragte der Stadt, Kerstin Gröbe, und Renate Fritsch die neuen Steine der Erde übergeben.
Mit neuen Erkenntnissen setzen sich auch Schülerinnen und Schüler verschiedener Hennigsdorfer Schulen auseinander. Von der Fontane-Grundschule über die Diesterweg-Oberschule bis hin zum Puschkin-Gymnasium reichen die Bemühungen, sich der deutschen Geschichte zu stellen und daraus Erfahrungen zu ziehen.
Wenn Ronald Colman das nächste Mal nach Hennigsdorf kommt, um die Familie zu ehren, wird er sich darüber sehr freuen. Er ist Kosmopolit und möchte den Reichtum Einzelner auf viele Menschen umverteilen. Trotz der ernsten Themen, die der Ökonom beackert, lacht er viel und findet die Form des Erinnerns und den offenen Umgang mit der Geschichte in der Stadt sehr gut. Thomas Günther jedenfalls hat Ronald Colman schon vor einem Jahr wieder eingeladen. Colman hat einen deutschen Pass und hat sich noch viel vorgenommen - auch einen weiteren Besuch in Hennigsdorf.